Habemus praesidentem! Am 16. Juli wählte das Europäische Parlament in Straßburg Ursula von der Leyen als erste Frau zur Präsidentin der Europäischen Kommission. Bereits zwei Wochen zuvor hatte der Europäische Rat nach einem dreitägigen Marathongipfel die ehemalige Verteidigungsministerin am 2. Juli in einem Überraschungscoup einstimmig als Kandidatin für den Kommissionsvorsitz nominiert – lediglich Deutschland hatte sich aufgrund der Ablehnung durch die SPD bei der Abstimmung enthalten. Von der Leyen steigt damit als erste Deutsche seit Walter Hallstein (1958-1967) an die Spitze der supranationalen EU-Exekutive auf.

Die gute Nachricht ist: Der EU bleibt damit eine langwierige Hängepartie und institutionelle Krise zwischen den Staats- und Regierungschefs und dem Europäischen Parlament erspart. Doch das Spitzenkandidatensystem, welches bei der letzten Europawahl 2014 erstmals angewandt wurde und die Wahl des Kommissionspräsidenten transparenter und demokratischer gestalten sollte, hat am Ende seine zweite Bewährungsprobe nicht bestanden. Von der Leyen war nie als Spitzenkandidatin für die Europawahl (23. bis 26. Mai) angetreten, sondern war Teil eines größeren Personalkonstrukts, ausgehandelt im Justus-Lipsius-Gebäude des Europäischen Rates. Demnach besteht die neue Führungsriege der EU aus dem belgischen Premierminister Charles Michel (Renew Europe) als neuem Präsidenten des Europäischen Rates, der IWF-Chefin Christine Lagarde (EVP) als Präsidentin der Europäischen Zentralbank und dem spanischen Außenminister Josep Borrell (SPE) als Hohem Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik.

Die Machtfrage ist damit entschieden – doch einige Fragen bleiben noch offen: Wer trägt die Schuld am Scheitern des Spitzenkandidatensystems? Wer konnte sich am Ende durchsetzen? Und vor welchen Herausforderungen steht die neue Kommissionspräsidentin?

Keine Mehrheit für Weber, Timmermans oder Vestager

Bereits vor der Europawahl bahnte sich ein wochenlanges Ringen um die Juncker-Nachfolge an. Immerhin geht es bei dem häufig kritisierten „Postengeschacher“ in erster Linie um die politische Ausrichtung der EU für die kommenden fünf Jahre. Gemäß der klassischen Brüsseler Machtarithmetik müssen zudem bei der Ernennung eines neuen EU-Personaltableaus in der Regel eine Reihe von Faktoren in Betracht gezogen werden. Dazu gehört etwa ein Gleichgewicht der neu zu besetzenden Posten in Bezug auf die Größe und Geografie der Mitgliedsländer, die Geschlechter sowie die Parteienfamilien. Die wahre Herkulesaufgabe besteht letzten Endes jedoch darin, einen machtpolitischen Interessenausgleich zwischen den Mitgliedstaaten selbst und den europäischen Institutionen zu finden.

Daher ist es auch wenig überraschend, dass einige Staats- und Regierungschefs wie etwa der französische Präsident Macron oder der luxemburgische Premierminister Bettel auf das Nominierungsrecht des Europäischen Rates pochten und das Spitzenkandidatenprinzip sowie einen Automatismus in der Frage des Kommissionschefs strikt ablehnten. Besonders der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber, dessen EVP-Fraktion aus den Europawahlen erneut als stärkste Kraft hervorgegangen war, war Macron ein Dorn im Auge. Der französische Präsident beharrte darauf, dass nur ein Kandidat mit ausreichender Regierungserfahrung für das Amt des Kommissionspräsidenten geeignet sei. Darüber hinaus hatte Macron wohl wenig Hoffnung, mit Weber sein ambitioniertes EU-Reformprogramm umsetzen zu können. Neben Macron stellten sich auch andere Mitgliedstaaten wie etwa Spanien, Portugal und die Benelux-Staaten gegen den EVP-Kandidaten und versuchten stattdessen, die Spitzenkandidaten ihrer eigenen Parteienfamilien durchzusetzen – den sozialdemokratischen Frans Timmermans oder die liberale Margrethe Vestager (wobei Vestager lediglich Teil eines siebenköpfigen Spitzenkandidaten-Teams war und sich erst in der Wahlnacht offiziell als mögliche EU-Kommissionspräsidentin ins Spiel brachte).

Auf dem ersten regulären Gipfeltreffen des Europäischen Rates nach der Europawahl konnte am 20. und 21. Juni schließlich keiner der drei Spitzenkandidaten eine ausreichende Mehrheit auf sich vereinen. Stattdessen wurde die Entscheidung auf den Sondergipfel am 30. Juni und 1. und 2. Juli vertragt – nur eine Woche später. Vor allem Merkel und Macron drängten die Staats- und Regierungschefs dazu, noch vor der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlaments am 2. Juli ein neues Personalpaket zu schnüren – wohl auch mit dem Hintergedanken, damit einen künstlichen Zeitdruck auf das Parlament zu erzeugen.

In der Zwischenzeit einigten sich die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Spanien und den Niederlanden am Rande des G20-Gipfels in Japan (28. und 29. Juni) auf einen neuen Kompromiss, demzufolge der Sozialdemokrat Timmermans Kommissionspräsident und Weber Parlamentspräsident hätten werden sollen. Doch der sogenannte „Deal von Osaka“ (oder „Sushi-Deal“) stieß auf dem direkt anschließenden Sondertreffen des Europäischen Rates in den Reihen der EVP und den Visegrád-Staaten („V4“) erneut auf heftigen Gegenwind. Die EVP wollte nicht leichtfertig ihren Machtanspruch auf den Kommissionsvorsitz aufgeben, während die V4 die Personalie Timmermans wohl insbesondere aufgrund der Rolle strikt ablehnten, die er als Vizepräsident der Juncker-Kommission bei den Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Artikel 7 EUV gegen Polen und Ungarn einnahm. Nachdem sich auch Irland, Kroatien und Italien gegen den Osaka-Deal aussprachen und damit keiner der drei Spitzenkandidaten eine Mehrheit hinter sich stellen konnte, drohte auch einer der längsten EU-Gipfel der letzten Jahrzehnte zu scheitern.

Doch dann gelang der Überraschungscoup: Ursula von der Leyen. Der Vorstoß soll wohl ursprünglich von Macron stammen – wobei es allerdings unwahrscheinlich ist, dass der französische Präsident ein Kabinettsmitglied Merkels vorschlägt, ohne dies im Vorhinein mit der Kanzlerin abgesprochen zu haben. Mit dem oben bereits genannten Personaltableau gelang es schließlich den 28 Staats- und Regierungschefs am 2. Juli, den gordischen Knoten im Europäischen Rat zu durchtrennen und eine Lösung zu finden, der alle zustimmen konnten (nur die deutsche Kanzlerin enthielt sich wegen der schon erwähnten Ablehnung ihres Koalitionspartners). Dies ist durchaus erstaunlich, insbesondere wenn man bedenkt, wie verhärtet die Fronten im Vorhinein waren. Doch mit dieser Entscheidung suchten die Staats- und Regierungschefs gleichzeitig die Machtprobe mit dem Parlament – denn die pro-europäischen Fraktionen des Parlaments pochten bis dahin auf die Nominierung einer ihrer Spitzenkandidaten.

Kollektives Versagen führte zum Scheitern des Spitzenkandidatenprinzips

Eine Mehrheit im Europäischen Parlament zu finden, gestaltete sich daher für von der Leyen wesentlich schwieriger als im Europäischen Rat. Die Europawahl hinterließ ein deutlich fragmentiertes Parlament. Die informelle große Koalition zwischen der christdemokratisch-konservativen EVP und den Sozialdemokraten S&D, die traditionell das Parlament dominiert hatte, verlor zum ersten Mal seit der ersten Direktwahl 1979 ihre Mehrheit. Folglich bedarf es seit der Wahl mindestens einer Dreier-Koalition, um etwa Gesetze verabschieden zu können – vermutlich mit den Grünen/EFA oder der liberalen Renew Europe.

Wie diese Zersplitterung des Parlaments die zukünftige Mehrheitsfindung erschwert, wurde spätestens bei der Wahl des Kommissionspräsidenten offenkundig. Denn letztlich scheiterte das Parlament genau daran, was es vom Europäischen Rat stets einforderte – sich gemeinsam hinter einen der Spitzenkandidaten zu stellen. Zwar bekannten sich fast alle Fraktionen des Parlaments zum Spitzenkandidatensystem, doch – anders als noch 2014 – kündigten die S&D und Renew Europe direkt nach der Wahl an, Weber nicht unterstützen zu wollen. Im Umkehrschluss weigerte sich die EVP lange, Timmermans oder Vestager zu wählen. Mit dieser Selbstblockade verloren die Abgeordneten jedoch ein wesentliches Druckmittel gegen den Europäischen Rat und gaben damit zwangsläufig das Heft des Handelns zurück an die Staats- und Regierungschefs. Am Ende hat das Parlament dadurch seinen Einfluss selbst geschwächt und trägt somit eine wesentliche Mitschuld am Scheitern des Spitzenkandidatensystems.

Nach ihrer Nominierung durch den Europäischen Rat stellte sich von der Leyen mehreren, teils öffentlichen Anhörungen bei allen Fraktionen des Europäischen Parlaments (außer der rechtsextremen Identität und Demokratie). Dabei stellte sie die geplanten politischen Leitlinien ihrer Kommission vor – wie etwa einen europäischen Mindestlohn und ein klimaneutrales Europa. Von der Leyen machte bei ihrem Programm vor allem Zugeständnisse an die S&D sowie die Grünen. Dennoch stand ihre Kandidatur bis zuletzt auf wackeligen Beinen – die Kritik war jedoch hauptsächlich gegen das Verfahren an sich und weniger gegen ihre Person gerichtet.

Am 16. Juli kam es schließlich im Plenum des Europäischen Parlaments zur Abstimmung. Zuvor legte von der Leyen vor den Abgeordneten in einer leidenschaftlichen, sehr pro-europäischen Rede nochmals ihr Programm dar. Bei der anschließenden geheimen Wahl erhielt sie 383 Ja-Stimmen, 327 Nein-Stimmen und 22 Enthaltungen – ein historisch knappes Ergebnis (zum Vergleich: Juncker 2014: 422-250-47; Barroso 2009: 382-219-117; Barroso 2004: 413-251-44; Prodi 1999: 392-72-41). Bereits vorab kündigten die EVP-Fraktion und Renew Europe an, für von der Leyen zu stimmen. Von der S&D-Fraktion erhielt die neue Kommissionspräsidentin wohl rund zwei Drittel der Stimmen – die 16 SPD-Abgeordneten stimmten nach eigenen Angaben dagegen. Da die Grünen ebenfalls gegen von der Leyen votierten, wird vermutet, dass sie auf ca. 40 Stimmen aus dem euroskeptischen Lager angewiesen war (etwa von der polnischen PiS-Partei und dem italienischen Movimento Cinque Stelle). Damit verpasste von der Leyen wohl eine pro-europäische Mehrheit im Parlament, doch ihr Ziel, Kommissionschefin zu werden, hat sie erreicht. Das Spitzenkandidatensystem freilich wurde dadurch – mit Zustimmung des Parlaments – (vorerst) begraben.

Wer sind also die Totengräber des Spitzenkandidatensystems? Kurz gesagt: Alle. Das Spitzenkandidatensystem erlag am Ende einem Machtkampf zwischen Mitgliedstaaten, Institutionen und Parteienfamilien innerhalb der EU. Weder im Europäischen Rat noch im Europäischen Parlament fand sich eine Mehrheit für einen der Spitzenkandidaten. Die Schuld des Parlaments wiegt dabei grundsätzlich schwerer – denn Macht muss erkämpft werden. Dass der Europäische Rat bei dieser Sachlage das Spitzenkandidatensystem umgehen und sich sein alleiniges Nominierungsrecht des Kommissionspräsidenten zurückerobern wollte, hätte den Abgeordneten bei ihrer Selbstblockade bewusst sein müssen. Die Wahl von der Leyens hinterlässt einen bitteren Beigeschmack: Sie ist letztlich ein Schaden für die demokratische Glaubwürdigkeit der EU. Doch welche Lehre lässt sich aus diesen Machtkämpfen ziehen? Falls die EU bis zu den Europawahlen 2024 bei ihren Bürgern wieder Vertrauen zurückgewinnen möchte, muss das Spitzenkandidatensystem dringend reformiert und an klare Regeln gebunden werden. Transnationale Listen wären hierbei ein erster Schritt; denn der/die SpitzenkandidatIn stünde damit künftig in allen Mitgliedstaaten zur Wahl. Von der Leyen hat bereits angekündigt, sich in der kommenden Legislaturperiode dafür einzusetzen zu wollen. Falls dies gelingt, könnte die europäische Demokratie letzten Endes trotzdem gestärkt aus dieser Wahl hervorgehen. In anderen Worten also: Das Spitzenkandidatensystem ist tot – lang lebe das Spitzenkandidatensystem!

Was ist von einer Präsidentin von der Leyen zu erwarten?

Trotz des unglücklichen Auswahlprozesses bedeutet für von der Leyen persönlich die Wahl zur Kommissionspräsidentin zunächst einmal die (unerwartete) Krönung ihrer politischen Karriere – und einen willkommenen Ausweg aus dem eher undankbaren Verteidigungsministerium. Zugleich ist es für die gebürtige Brüsselerin eine Heimkehr –  von der Leyen ist in der (de facto) EU-Hauptstadt aufgewachsen und spricht fließend Französisch (und Englisch), was sicherlich für ihre künftige Rolle ebenfalls von Vorteil sein wird. Ihr Vater – Ernst Albrecht – war der damalige Kabinettschef des damaligen EWG-Kommissars Hans von der Groeben. Als dienstältestes Kabinettsmitglied der Bundesregierung (2005-2019) bringt sie zudem ausreichend Regierungserfahrung mit in ihr neues Amt. Dabei konnte sie vor allem in ihrer langjährigen Funktion als Verteidigungsministerin ihr internationales Profil schärfen. So wurde von der Leyen in der Vergangenheit bereits mehrfach als künftige NATO-Generalsekretärin gehandelt. Insofern ist auch davon auszugehen, dass sie während ihrer Amtszeit als Verteidigungsministerin ein gewisses Gespür für die Notwendigkeit einer genuinen strategischen Autonomie der EU entwickeln konnte – besonders mit Hinblick auf die tiefgreifende Krise in den transatlantischen Beziehungen und die gegenwärtigen globalen geopolitischen Umbrüche.

Insgesamt also gute Voraussetzungen für eine künftige Kommissionspräsidentin. Doch welche Vision hat von der Leyen für die EU? Bei ihrer Bewerbungsrede im Parlament stellte von der Leyen ein ambitioniertes Programm vor – inter alia:

  • Einen „Green Deal for Europe”: Dieser soll innerhalb der ersten 100 Tage ihrer Amtszeit vorgelegt werden und sieht u.a. eine Senkung der Treibhausgase um bis zu 55 Prozent bis 2030 sowie die Einrichtung einer Klimaförderbank vor. Mit dem „Green Deal for Europe“ soll Europa bis 2050 der weltweit erste klimaneutrale Kontinent werden.
  • Einen neuen Migrationspakt mit humanitären Korridoren: Zudem soll die EU-Grenzschutzbehörde Frontex bis zum Jahr 2024 (statt 2027) auf 10.000 Beamte aufgestockt und ein neues Verteilungssystem für Flüchtlinge eingeführt werden.
  • Einführung des qualifizierten Mehrheitsentscheids in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).
  • Einen europäischen Mindestlohn, sowie
  • Geschlechterparität bei der Auswahl der Kommissare (in der Geschichte der EU lag der Anteil an weiblichen Kommissaren bislang bei lediglich 20%).

Die Tatsache, dass ihr Programm en détail noch nicht ausgereift ist, kann man angesichts der kurzen Zeitspanne seit ihrer Nominierung durchaus nachvollziehen. Doch die Frage, ob sie ihre Vorhaben am Ende tatsächlich verwirklichen kann, ist trotzdem berechtigt. Denn für die Umsetzung ihrer Projekte ist sie auf die Zustimmung der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments angewiesen – und dabei sind bei vielen Punkten intra- und interinstitutionelle Grabenkämpfe (wie etwa in der Klima- und Migrationspolitik) bereits vorprogrammiert. Ihr Erfolg wird daher letztlich davon abhängen, ob es ihr gelingt, eine pro-europäische Mehrheit im Parlament, Ministerrat und Europäischen Rat hinter sich zu organisieren. Mit ihrer Ankündigung, künftig jedes Gesetzesvorhaben, welches eine Mehrheit im Parlament findet, aufzugreifen – und damit dem Parlament indirekt ein Initiativrecht einzuräumen – hat sie bereits angedeutet, dass das Parlament unter ihrer Präsidentschaft eine starke Stellung einnehmen wird.

Noch wichtiger wird jedoch die Unterstützung des Europäischen Rates. Zwar hat die Kommission durchaus Einfluss auf das agenda-setting der EU, doch den äußeren Rahmen der Politik setzt immer noch der Europäische Rat als zentrales Lenkungsorgan der Union. Durch ihre einstimmige Nominierung (mit einer Enthaltung) durch die Staats- und Regierungschefs hat von der Leyen bereits ein wichtiges Faustpfand in der Hand. Dennoch wird es ein gewaltiger politischer Kraftakt für die künftige Kommissionspräsidentin, die Interessenunterschiede und Risse, die sich im Laufe von zehn Jahren Krisenmodus herausgebildet haben, zu überwinden und zu einen. Besonders spannend bleibt dabei, wie sich von der Leyen in Fragen der Rechtstaatlichkeit in Bezug auf Polen und Ungarn verhalten wird, da sie wohl im Endeffekt auf deren Stimmen bei ihrer Wahl im Parlament angewiesen war. Bei ihrer Rede kündigte sie an, dass es unter ihrer Führung „keinen Kompromiss“ bei Rechtstaatlichkeit geben werde. Daher bleibt es abzuwarten, wie lange der gegenwärtige Burgfriede zwischen der neuen Kommission und Polen und Ungarn halten wird. Doch letztlich hat selbst Ungarn, anders als noch bei Juncker, bei der Abstimmung für sie votiert.

Am Ende kann man also sagen: Von der Leyen war zwar nicht als Spitzenkandidatin bei der Europawahl angetreten – doch vielleicht ist sie, gerade weil sie eine Kompromisskandidatin ist, die richtige Präsidentin zur richtigen Zeit.

Was sind die nächsten Schritte?

  • August/September: Die Staats- und Regierungschefs nominieren die übrigen Kommissionsmitglieder. Fest stehen wohl bereits der Niederländer Frans Timmermans und die Dänin Margrethe Vestager „als höchstrangige Vize-Präsidenten der Kommission“ sowie der Spanier Josep Borrell (SPE) als Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik. Der britische Premierminister Boris Johnson hat angekündigt, aufgrund des Brexit keinen Kandidaten für die kommende Kommission nominieren zu wollen.
  • 30. September bis 8. Oktober: Anhörung der Kandidaten in den zuständigen Ausschüssen des Parlaments („grilling“).
  • 17./18. Oktober: Herbstgipfel des Europäischen Rates.
  • 21.-24. Oktober: Das Europäische Parlament stimmt über das Kollegium der Kommissare als Ganzes ab. Von der Leyen selbst kann dabei nicht mehr abgelehnt werden, sondern nur das gesamte Kollegium.
  • 31. Oktober: Brexit-Termin. Nach aktuellem Stand verlässt das Vereinigte Königreich an diesem Datum die EU. Von der Leyen zeigte sich jedoch bei ihrer Bewerbungsrede im Europäischen Parlament offen, das Austrittsdatum notfalls noch einmal zu verschieben. Das mit London ausgehandelte Austrittsabkommen soll hingegen nicht erneut aufgeschnürt werden.
  • 1. November: Die Kommission von der Leyen und die EZB-Chefin Christine Lagarde treten ihre neuen Ämter an.
  • 1. Dezember: Charles Michel tritt sein Amt als Präsident des Europäischen Rates an.

Der Machtkampf ist schließlich vorüber und eine institutionelle Krise abgewendet. Die künftige EU-Führungsriege steht nun vor der Mammutaufgabe, neue Trennungslinien innerhalb der EU zu vermeiden und gleichzeitig Europa zukunftsfähig zu machen. Dies gilt im Besonderen mit Hinblick auf die Schlüsselbereiche Digitalisierung und Klima sowie eine tiefgreifende Reform der Eurozone und der damit verbundenen Frage der strategischen Souveränität der EU. Die Welt ist im Umbruch, die Machtverhältnisse verschieben sich gen Fernost – Europa bleibt letztlich nicht mehr viel Zeit, sich in dieser veränderten Konstellation neu zu positionieren.