Ende dieser Woche am 19. und 20. Oktober treffen sich die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten zum dritten turnusmäßigen Gipfel des Jahres in Brüssel. Er steht wieder einmal vor besonderen Herausforderungen.

Mit dem Wahlsieg der ÖVP unter Sebastian Kurz, dem Aufstieg der FPÖ und der möglichen Rechtsregierung in Österreich wird die Alpenrepublik zu einem weiteren schwierigen Partner neben Ungarn und Polen. Dazu ist Spanien inmitten einer seiner größten innenpolitischen Krisen der jüngeren Geschichte. Die vielleicht-ja-vielleicht-nein-Sezession Kataloniens mit dem von der Zentralregierung gesetzten und dann verlängerten Ultimatum hängt wie ein Damoklesschwert über Madrid. Sollte sich Barcelona tatsächlich abspalten, droht der EU ein neuer, in seiner Dimension noch nicht absehbarer Krisenherd.

Ob sich der Europäische Rat tatsächlich den Zukunftsfragen der EU widmen kann, ist mehr als fraglich

Auch in Deutschland geht seit der Bundestagswahl vor drei Wochen nur wenig voran. Die Landtagswahlen in Niedersachsen haben die ohnehin schwierigen Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen noch weiter nach hinten verschoben. Das schwache Abschneiden der Christdemokraten – ohne starke AfD – hat sicherlich auch nicht dazu beigetragen, dass Kanzlerin Angela Merkel fester im Sattel sitzt. Ob sich der Europäische Rat tatsächlich den Zukunftsfragen der EU widmen kann, ist deshalb mehr als fraglich.

Die Agenda scheint den schwierigen Umständen Rechnung zu tragen. Die anvisierten Themen sind Migration, Digitales Europa, Außenbeziehungen und die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien; letzteres allerdings ohne Theresa May in der sogenannten Artikel 50-Formation.

Im Themenfeld Migration wollen sich die Staats- und Regierungschefs vor allem einen Überblick über den Erfolg oder Misserfolg der bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung illegaler Migration verschaffen und voraussichtlich über zusätzliche Maßnahmen entscheiden. So weit so gut.

Ihr drittes Ziel, die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, wird weitaus schwieriger zu realisieren sein. Neben den bekannten schwierigen Partnern in Form der Visegrad-Staaten kommt nun ein wahrscheinlich abgewählter Bundeskanzler Christian Kern nach Brüssel, der Österreichs Position der kommenden Jahre nicht mehr vertreten kann. Auch Merkel kann hier keine Aussagen treffen, ohne ihre potenziellen Koalitionspartner vor den Kopf zu stoßen.

Türkei, Iran, Trump – Konfliktstoff auch in der Außenpolitik

Daran anknüpfend birgt auch das Thema Außenbeziehungen einigen Konfliktstoff. Noch während des deutschen Bundestagswahlkampfes haben sich sowohl Herausforderer Schulz als auch Kanzlerin Merkel mehr oder weniger enthusiastisch für ein Aussetzen der Beitrittsgespräche mit der Türkei ausgesprochen. Postwendend gab es Reaktionen der europäischen Partner, dass dieser Vorstoß auf wenig offene Ohren treffen wird. Auch die Türkei selbst ist nicht bereit, den EU-Beitritt ad acta zu legen. Hierzu sagte der stellvertretende Ministerpräsident Bekir Bozdağ: „Wir sind entschlossen, den Prozess trotz aller Rückschläge fortzusetzen.“

In Sachen Iran müssen die Gipfelteilnehmer die Frage beantworten, ob sie sich wie schon ihre Außenminister klar für die Fortführung des Atom-Abkommens einsetzen möchten und sich somit klar gegen US-Präsident Donald Trump stellen, der das Abkommen wohl nicht mehr aufkündigen, aber zumindest nachverhandeln möchte.

Beim Thema Digitales Europa möchte der Europäische Rat auf den Beratungen des Digital-Gipfels vom 29. September aufbauen. Streitpunkt dürfte hier weiterhin die Besteuerung von Firmen wie Apple oder Google sein. Ob beispielsweise Irland die Forderung nach einheitlicherer Besteuerung von Gewinnen von Digitalfirmen erfüllen möchte, ist mehr als unsicher.

Brexit-Verhandlungen in der Sackgasse

Nach den Verhandlungen und dem Abendessen am Donnerstag wird die britische Premierministerin Theresa May abreisen, sodass die übrigen 27 Staats- und Regierungschefs im Artikel 50-Format weiter diskutieren können. Noch am vergangenen Freitag resümierte EU-Chefunterhändler Michel Barnier, dass die Verhandlungen beim Thema britischer Zahlungen an die EU „eine Sackgasse erreicht haben, die sehr beunruhigend ist“. Geplant war während des Gipfeltreffens die zweite Verhandlungsphase zwischen der Europäischen Union und Großbritannien einzuläuten, in der neben unendlichen Spezifika der Trennung auch über eine Übergangslösung nach März 2019 gesprochen werden sollte.

Doch neben der EU-Forderung nach bis zu 60 Mrd. Euro gibt es ebenfalls kaum Fortschritte bei der Frage der Rechte von in Großbritannien lebenden EU-Bürgern sowie einer möglichen neuen Grenze zwischen Irland und Nord-Irland, die den fragilen Frieden im Nordosten der Insel gefährden könnte.

Deshalb hat Barnier dem Europäischen Rat empfohlen, noch nicht in die zweite Phase einzutreten. Vielmehr wird erwartet, dass die Staats- und Regierungschefs ihre Hoffnung ausdrücken, mit dem Gipfel im Dezember mit den Verhandlungen fortschreiten zu können.

Springt der Motor der Integration an?

Neben den offiziellen Tagesordnungspunkten in großer Runde wird vor allem interessant, ob und wie „Mercron“ die Zukunftsthemen der Europäischen Union angehen und ob der deutsch-französische Integrationsmotor nach den überstandenen Wahlen endlich wieder anspringt und konkrete Ergebnisse produziert, oder ob er noch mindestens bis zur Regierungsbildung in Deutschland weiter stottert und außer Bekenntnissen zu weiteren Reformen nichts herumkommt.

Schwierige Umstände und besondere Herausforderungen also für das Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs – da ist guter Rat teuer.