Am 13.11.2017 hat die EU einen wohl historischen Schritt in Richtung einer sicherheits- und verteidigungspolitischen Union unternommen: 23 Mitgliedstaaten sind eine „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik eingegangen. Die Hohe Vertreterin der EU, Federica Mogherini, kommentierte: „Wir haben gerade etwas unterschrieben, das wir, aber auch der Rest der Welt, vor einem Jahr nicht für möglich gehalten hätten“.
Was ist eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit?
Nach Artikel 42.6 des Lissabonner Vertrags können „Mitgliedstaaten, die anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen […] im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen […] eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit im Rahmen der Union“ begründen.“ Artikel 46 des EUV beschreibt das genaue Vorgehen im Rahmen einer PESCO (Permanent Structured Cooperation), die im Geiste des Lissabon-Vertrags zweifelsohne die Bildung einer Pioniergruppe, einer Avant Garde, zum Ziel hat.
Konkret haben sich die PESCO-Mitglieder zu 20 Zielen bekannt, wovon Nummer eins lautet, dass sie ihre Verteidigungsausgaben kontinuierlich erhöhen werden. Jeder PESCO-Staat muss außerdem an mindestens einem der derzeit 46 vorliegenden Projekte teilnehmen, die zum einen dem Ausbau der gemeinsamen zivilen Fähigkeiten dienen, beispielsweise beim Schutz der EU-Außengrenzen, und zum anderen die militärischen Fähigkeiten der GSVP sowie die Interoperabilität der europäischen Streitkräfte erhöhen sollen.
PESCO verfolgt somit an allererster Stelle das Ziel, den mitunter desolaten Zustand von Europas Streitkräften zu verbessern, Kapazitäten zu bündeln und zu integrieren, Investitionen anzuregen und durch gemeinsame Rüstungsprojekte die Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung zu effektivieren, sprich ein besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis zu erzielen.
Fragen an das PESCO-Abkommen
Die vier wichtigsten Fragen, die sich derzeit an PESCO stellen, lauten: Erstens, wenn 23 EU-Mitgliedstaaten PESCO eingehen und nur das Vereinigte Königreich, Dänemark, Malta, Portugal und Irland außen vor bleiben, was wird dann aus der Zielsetzung, eine Avant Garde zu schaffen, „die anspruchsvollere Kriterien“ und „Missionen mit höchsten Anforderungen“ im Blick hat? (Portugal und Irland planen übrigens, sich bis Jahresende ebenfalls der PESCO anzuschließen). Zwei Antworten bieten sich hier an. Zum einen kann man argumentieren, dass sich Deutschland mit seinem dezidiert inklusiven Ansatz gegenüber Frankreich, das sich sehr stark auf das Avant Garde-Konzept konzentrierte, letztendlich durchgesetzt hat. Frankreich jedoch braucht PESCO dringend, um seinen langjährigen Forderungen nach höheren militärischen Beiträgen der Partner vor allem im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus in Afrika (Mali, ZAR, Sahel) Aussicht auf konkrete Erfolge zu verschaffen. Deutschland wiederum, das sich in den letzten Jahren mehrfach zur Erhöhung seiner Verteidigungsausgaben verpflichtet hat, möchte nach dem Brexit auf gar keinen Fall als dann größte Militärmacht Europas dastehen, darum drang es auf einen inklusiven Ansatz und darauf, dass PESCO nicht ausschließlich militärische Projekte umfasst.
„Wir haben gerade etwas unterschrieben, das wir, aber auch der Rest der Welt, vor einem Jahr nicht für möglich gehalten hätten“ (F. Mogherini)
Eine zweite Lesart der Tatsache, dass 23 Mitgliedstaaten PESCO wollen, könnte auch sein, dass alle 23 die Zeichen der Zeit erkannt haben: Angesichts wachsender sicherheitspolitischer Herausforderungen – sei es durch Russland, durch den Terror, durch die Lage in der nah- und mittelöstlichen Nachbarschaft oder sei es durch den Migrationsdruck vor allem aus Afrika – müssen sie alle mehr für ihre und Europas Sicherheit tun. Der brutale Druck des US-Präsidenten Donald Trump, die in Wales 2014 zugesagten zwei Prozent des BIP für Sicherheit und Verteidigung auch wirklich auszugeben, hat in dieser Lesart nur ein Übriges getan, um im PESCO-Rahmen diese Herausforderungen anzupacken.
Wem nützt PESCO?
Die zweite Frage lautet: Wem dient PESCO? Stärkt sie die EU und ihre GSVP oder stärkt sie vorrangig die NATO? Hier lautet die Antwort eindeutig: PESCO stärkt gleichermaßen beide sicherheits- und verteidigungspolitischen Akteure; denn weiterhin gilt die Maxime: one single set of forces, will heißen, dass die Fähigkeiten der EU- und NATO-Mitgliedstaaten sowohl der GSVP als auch der NATO – übrigens auch der UNO – unterstellt werden können, um internationale Missionen durchzuführen. Die Territorial-Verteidigung bleibt eindeutig außen vor. Allein die Arbeitsteilung je nach Anforderungen der Missionen bleibt offen. Wahr ist jedoch, dass das Ambitionsniveau einer PESCO der 23 derzeit vage bleibt.
Bis zur konkreten Implementierung von PESCO sind noch etliche Schritte zu gehen. So müssen sich die PESCO-Mitglieder in den nächsten Wochen entscheiden, welchen der 46 Projektvorschlägen, die derzeit auf dem Tisch liegen, sie sich anschließen wollen, an mindestens einem müssen sie sich beteiligen. Erst dann lässt sich auch das angestrebte Ambitionsniveau von PESCO präziser umreißen. Alle Projektvorschläge dienen der Fähigkeitsverbesserung durch intensivierte Zusammenarbeit und/oder der Schaffung neuer, gemeinsam aufzubauender Kapazitäten, beispielsweise bei der Cyberabwehr oder der Sattelitenausstattung zur Spionageabwehr und Verbesserung der nachrichtendienstlichen Aufklärung. Auch einige gemeinsame Ausbildungs- und Trainingsprojekte finden sich auf der Liste.
Kann PESCO gelingen?
Seit dem Gipfel von Bratislava vom September 2016 hat sich die EU dem Ziel verschrieben, mehr Sicherheit zu gewährleisten und zwar sowohl für ihre eigenen, durch Krisen, Terror und ungesteuerte Migration verunsicherten Bürger als auch für Nachbarregionen. Im Rahmen dieser neuen Agenda ist PESCO ein wichtiger, aber keineswegs der einzige Baustein. So konnte im Juni 2017, nach langjährigen, dem hartnäckigen britischen Widerstand geschuldeten Querelen, ein EU-Hauptquartier für „nicht-exekutive“ GSVP-Missionen eingerichtet werden. Der ebenfalls im Juni 2017 von der Europäischen Kommission vorgestellte Verteidigungsfonds soll jährlich 5 Mrd. € investieren, um Europas Verteidigungsfähigkeiten zu stärken, zwei Prozent dieser Summe sollen in PESCO-Projekte gehen.
Die EU auf dem Weg zu einer sicherheits- und verteidigungspolitischen Union?
Derzeit ist noch offen, ob all diese wichtigen Projekte konkret und vollumfänglich umgesetzt werden. Sicher aber ist, dass wir einen Wendepunkt in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU beobachten. Dieser ist sowohl dem Brexit geschuldet, der der EU-27 neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet, als auch – mehr noch – der neuen Sicherheitslage, die im Osten und Süden der EU deutlich prekärer geworden ist. Da seit Amtsantritt von Donald Trump größte Verunsicherung über die Verlässlichkeit der US-NATO-Politik (und der US-Außenpolitik insgesamt) herrscht, bleibt den Europäern gar nichts anderes übrig, als sich zu einer sicherheits- und verteidigungspolitischen Union weiterzuentwickeln. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte diese Notwendigkeit nach dem desaströsen ersten Europabesuch des neuen US-Präsidenten im Mai 2017 in die vielzitierten Worte gegossen: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei und deshalb kann ich nur sagen, wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen“.
Erste Schritte sind inzwischen also getan. Nun müssen die PESCO-Staaten, allen voran Deutschland und Frankreich, noch die strategische Frage klären: Was wollen sie wo und mit wem, warum und wozu erreichen? Es könnte gut sein, dass dies die größte Hürde auf dem Weg zu einer sicherheits- und verteidigungspolitischen Union darstellen wird.