Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz feierlich verkündet und damit die Bundesrepublik Deutschland als westlicher Teilstaat gegründet. Am 23. Mai 2019 gilt es nun, ein Hoch auf diese 70 Jahre Grundgesetz auszubringen, denn das „GG“ hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Deutschland ein demokratisches, friedliches, verlässliches, vertrauenswürdiges und stabiles Mitglied der europäischen und der internationalen Völkergemeinschaft werden konnte.

Vom Provisorium zur gesamtdeutschen Verfassung

Zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes ist in diesem Jubiläumsjahr sehr viel geschrieben, gesagt und gewürdigt worden, vollkommen zu Recht, denn das Grundgesetz als zunächst nur westdeutsche Verfassung hat diesem Teil Deutschlands nur vier Jahre nach der totalen Katastrophe, dem vom Dritten Reich ausgelösten Zweiten Weltkrieg, dem Holocaust, der bedingungslosen Kapitulation und der Besatzung und Teilung den Aufbruch in eine demokratische Zukunft ermöglicht.

Diese westdeutsche Verfassung wurde nicht so genannt, sondern schlicht als Grundgesetz bezeichnet, womit sein Charakter als Provisorium umschrieben werden sollte: Das Grundgesetz würde später, nach der Wiedervereinigung, in einer gesamtdeutschen Verfassung aufgehen. Doch das Provisorium hat sich über alle Maßen hinaus bewährt, es hat Politik und Gesellschaft der BRD geformt; durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wurde das Grundgesetz kontinuierlich weiterentwickelt und aktualisiert. Auch den Vollzug der deutschen Einheit 1990 wurde vom Grundgesetz geformt, denn die neuen Bundesländer sind –  wie von Artikel 23 GG (alte Fassung) ermöglicht – seinem Geltungsbereich beigetreten, so dass das Grundgesetz heutzutage „für das gesamte deutsche Volk“ gilt, wie es in der Präambel nun heißt.

Das GG prägt Deutschlands europäischen und internationalen Weg

Am Grundgesetz und seiner kontinuierlichen Weiterentwicklung durch das Bundesverfassungsgericht sollen hier vor allem die Bestimmungen kurz gewürdigt werden, die Deutschlands europäischen und internationalen Weg prägten und prägen. So wird bereits in der Präambel der Wille des deutschen Volkes beschworen, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. Auch in anderen Bestimmungen wird der neue Staat mehrfach auf die Wahrung des Friedens verpflichtet, und, als dessen Grundlage, auf die Achtung der Menschenrechte. Explizit verbietet das Grundgesetz Angriffskriege als verfassungswidrig und stellt sie unter Strafe (Art. 26 Abs. 1). Und auch die Einbettung der BRD in ein System der kollektiven Sicherheit muss das Ziel verfolgen, eine „friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt“ herbeizuführen und zu sichern (Art. 24 Abs. 3). Stark ist auch das Bekenntnis zur Gültigkeit und dem Vorrang des Völkerrechts (Art. 25 GG).

Sicher darf es als verfassungsgeberisches Meisterstück von großer Symbolik gewertet werden, dass nach dem Vollzug der deutschen Einheit der nun gegenstandslos gewordene Wiedervereinigungsartikel 1992 in den neuen, inzwischen mehrfach geänderten Europa-Artikel 23 überführt wurde. Sein erster Absatz lautet: “Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderalen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet“. Des Weiteren werden in diesem Europa-Artikel 23 die europapolitischen Mitgestaltungsrechte von Bund und Ländern, von Exekutiven und Legislativen geregelt.

Muss Deutschland europapolitisch mehr und Neues wagen?

Das sind die wesentlichen Bestimmungen, die das Grundgesetz Deutschland vorgibt, um sich heute als Mitglied in Europa und in der Welt zu bewähren. Dies sind gute Grundlagen, zu denen man Deutschland am 70. Geburtstag der Staatsgründung gratulieren darf. Dass die Umsetzung in konkrete Außen- und Europapolitik dennoch jeder Bundesregierung und jedem Parlament schwierige Entscheidungen abverlangt, liegt in der Natur des Politischen, das sehr raschen, oft gravierenden Veränderungen unterworfen ist und daher jeweils neue, dem Zeitgeschehen und Kontext angemessene Entscheidungen und Weichenstellungen erfordert. So muss sich auch Deutschland derzeit erneut fragen, ob es in den heutigen Zeiten der Rückkehr von Nationalismus und Autoritarismus, von geopolitischen Machtreflexen kombiniert mit nationalen Egoismen, von Angriffen auf den regelbasierten Multilateralismus nicht mehr und Neues wagen muss, um seinen ihm im Grundgesetz auferlegten Friedens- und Integrationsverpflichtungen gerecht zu werden. Auch in der deutschen Europapolitik – das muss wenige Tage vor der wichtigen Wahl zum Europäischen Parlament klar gesagt werden – könnte mehr und Neues unternommen werden, um „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“.