Deutschland hat endlich wieder eine Regierung. Es bleibt die Frage, wie lange sie halten wird. Darauf ausgelegt, das Land bis 2021 zu führen, könnte sie bereits Ende 2019 auseinanderbrechen. Wie einige ihrer Vorgängerinnen ist diese Regierung vorrangig das Ergebnis eines Kompromisses, der – Regierungsverantwortung verpflichtet – nicht nicht geschlossen werden konnte.

Nur dass diesmal weder CDU/CSU noch SPD am gleichen Kabinettstisch Platz nehmen wollten. Die Christdemokraten hatten eine Regierung mit den Liberalen und den Grünen anvisiert; aber die Liberalen sahen das anders. Was die Sozialdemokraten anbelangt, so hatten sie gehofft, sich auf der Oppositionsbank erholen und erneuern zu können. Jetzt aber sind sie gezwungen, auf der Regierungsbank Platz zu nehmen, an der Seite von Kollegen, von denen sie sich unbedingt hatten trennen wollen.

Die Situation im konservativen Lager

Und als Krönung des Ganzen ersetzen Dornen jetzt die Lorbeeren, die zu tragen die Kanzlerin in den vergangenen 12 Jahren gewohnt war. Angeschlagen tritt sie nun eine vierte Amtszeit an, die sich als genauso heikel und schwierig erweisen könnte, wie es die vorzeitig beendete bzw. mühsam zu Ende gebrachte vierte Amtszeit von Adenauer und Kohl der Fall war. Ob sie (Angela Merkel) es nun will oder nicht, sie ist heute ein Auslaufmodell. Lange Zeit an der Spitze einer Partei, die heutzutage nach rechts schaut, um verirrte Wähler zurückzugewinnen, muss Angela Merkel der CDU ein neues inneres Gleichgewicht geben. Indem sie die Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu ihrer Nachfolgerin (als CDU-Generalsekretärin) auserkoren hat, versucht sie gegen alle Widerstände ihrem Führungskurs treu zu bleiben.

Damit jedoch könnte sie die alte Grundregel verletzten, der zufolge große Politikerpersönlichkeiten gut beraten sind, wenn sie sich niemals in die Suche nach ihren Nachfolgern oder Nachfolgerinnen einmischen. Jedenfalls besteht kein Zweifel daran, dass die „nach-Merkel-Zeit“ faktisch bereits begonnen hat. Ihre Konkurrenten stehen bereits in den Starblöcken; sie werden sich in gespielter Unschuld und mit Nachdruck gegenseitig in dem Wettlauf zu überbieten suchen, der in einem Rechtsruck der Partei enden wird.

Daher könnte Deutschland Zeugin eines Transformationsprozesses werden, an dessen Ende das konservative Lager aus den Merkel-Gegnern von CDU/CSU bestehen könnte sowie aus den Nationalliberalen der FDP und einigen reumütigen AfDlern, die nach neuer Anerkennung streben. Dieser Zusammenschluss wäre übrigens weniger disparat als es auf den ersten Blick scheinen mag und er dürfte schon heute mehr als 30 Prozent der deutschen Wähler repräsentieren.

Herausforderungen für die SPD

Die Lage der SPD ist anders. Nicht unbedingt besser, aber im Gegensatz zur CDU/CSU ist sie weniger vom Schicksal ihres Parteichefs abhängig. Nach ihrer Wahlniederlage im September 2017 und dem internen Putsch gegen Martin Schulz im Februar 2018 ist die SPD zu einer Erneuerung ihrer Führungsriege gezwungen. Nun erneut in der Regierungsverantwortung stehend kann sie dies nicht in der Opposition tun. So muss die SPD sich eine neue Parteispitze suchen und gleichzeitig auch neue Minister benennen, um das Land gemeinsam mit CDU/CSU zu regieren.

Ein erster Blick auf die Namensliste der neuen SPD-Minister bestätigt diesen Eindruck. Olaf Schulz, vormaliger Erster Bürgermeister von Hamburg und neuer Bundesfinanzminister, könnte sehr wohl die Rolle des künftigen sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten übernehmen. Der Aufstieg von Heiko Maas in das hochbegehrte Amt des Bundesaußenministers beendet definitiv den Schröder’schen Einfluss auf die auswärtigen Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland. Gleichwohl bleibt für die SPD die Aufgabe bestehen, sich einen kohärenten politischen Kurs zu geben, was noch längst nicht geschehen ist. Nur die Zukunft kann zeigen, ob dies der neuen Parteichefin Andrea Nahles gelingen wird.

Europäische Hoffnungen

Wenn es nun auch wieder eine neue deutsche Regierung gibt, so lässt sich noch keineswegs voraussagen, ob sie sich gegen solche internen Spannungen und Probleme wird wappnen können, deren erstes Opfer ihre Außen- und Europapolitik wäre. Denn während Europa sich zur Ernennung der neuen deutschen Bundesregierung beglückwünscht, bietet eben dieses Deutschland keine Garantie dafür, dass es Europa eine so stabile und starke Regierung anbieten kann wie es sich die EU berechtigterweise erwartet und erhofft.

Beunruhigt von den anti-demokratischen Abgründen, die sich in Ungarn und Polen auftun, in Sorge vor einem Abdriften Österreichs und gelähmt von den italienischen Parlamentswahlen vom 4. März 2018, erwartet die Europäische Union viel von der neuen deutschen Regierung. Diese Erwartungen aber werden möglicherweise gar nicht erfüllt, hat Berlin doch Paris bereits signalisiert, dass die Kanzlerin eine Reform der Eurozone nicht sofort auf die europäische Agenda setzen will. Während Europa also sehr schnell eine Relance der deutsch-französischen Partnerschaft benötigt, um den neuen bedrohlichen Herausforderungen zu begegnen, gibt die neue deutsche große Koalition zu Optimismus kaum Anlass.

Mit der Auffassung, dass es dringlich sei, abzuwarten, weicht Deutschland der Frage aus, die sein französischer Partner sich zu Recht stellt, der Frage nämlich, ob Abwarten nicht der schlimmste Feind der Dringlichkeit ist – und einen dringlichen Handlungsbedarf haben wir in Europa auf jeden Fall!

 

Dieser Beitrag wurde zuerst am 15. März 2018 in französischer Sprache im Blog „Politique européene“ von Prof. Gilbert Casasus veröffentlicht. 

Übersetzung aus dem Französischen: Prof. Dr. Gisela Müller-Brandeck-Bocquet, Jean-Monnet-Professorin für Europaforschung und Internationale Beziehungen an der Universität Würzburg.